Eine Umfrage von 2016 wies nach, dass sich die AfD, der man unterdes durch diverse Gerichtsurteile und die teilweise Beobachtung durch den Verfassungsschutz zumindest den Hauch eines Aromas von nationalsozialistischen Tendenzen unterstellen darf, in der queeren Gemeinde größerer Beliebtheitswerte erfreut als die nun auch nicht eben pink-gewashte CDU. Wo kommt sie her, diese Liebe des Schwulen zum Nazi? Um Protestwähler wie die stets zutiefst beleidigten Ossis in ihrem nostalgischen Sehnen nach Diktatur kann es sich kaum handeln.
Der Verdacht liegt nahe, auch wenn es dafür keine belastbaren psychoanalytischen Studien gibt, dass diese Anbindung der Schwulen an eine offen homophobe Partei wie seinerzeit die an die NSDAP etwas mit Männertümelei, Burschenschaftsklüngel und einer geradezu romantischen Sehnsucht nach Heteronormativität zu tun hat. Besonders stark sind die Nationalpopulisten nämlich hüben wie drüben bei männlichen Wählern zwischen 35 und 69. Also in einem Segment, ob positiv oder negativ bewertet, sozial festgelegter Menschen. Bürgern, denen man nicht die Sturm-und-Drang-bedingte Suche nach Visionen unterstellen muss, sondern solchen, denen es nicht mehr nach den großen Fragen dürstet, bloß noch nach deren einfacher Beantwortung. Dass nun ausgerechnet schwule Männer, in der Regel Gutverdiener mit akademischem Hintergrund, in diesem idiotisch simplen, sich mitunter gegenseitig widersprechendem Antwortenkosmos ihr Seelenheil finden, mutet geradezu paradox an.
Am ehesten lässt sich dieses Phänomen auf den Begriff des „politischen Konfessionalismus“ zurückführen, der durch den amerikanischen Politikwissenschaftler Walter Dean Burnham geprägt wurde. Vereinfacht formuliert besagt dieser, dass der Kult über den Inhalt gestellt wird. Die NSDAP hatte keinen großen Erfolg im christlichen Lager. Denn die Gläubigen hatten bereits ihren Führer in Form des Allmächtigen gefunden. Inflation, Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit jedoch ließen viele Menschen von ihrer Religion abfallen. Den neuen Gott fanden sie im Führer. Diese These beweist der große Erfolg der AfD in den neuen Bundesländern, wo der Anteil der „Heiden“ über 80 Prozent liegt. Faschismus als Religionsersatz.
Tatsächlich haben populistische Organisationen strukturell mit der von Kirchen, in erster Linie der katholischen, viel gemeinsam. Hierarchisch geht es um Leadership – um messianische Helden, die den vermeintlich unterdrückten „kleinen Mann“ aus seinem Elend führen und ihm die Sonne versprechen, wo es nebelt, bzw. den Regen dort, wo Dürre herrscht. Dieses Versprechen, gewürzt mit möglichst griffigen Feindbildern und Ressentiments, reicht vollkommen aus, die Leute zu mobilisieren – vor allem jene aus dem Nichtwählerlager heraus, die doch eigentlich nie Verantwortung für irgendwas übernahmen, aber sich nun gedrängt fühlen, ebendiesen Mangel an eigener Pflicht der höheren Instanz zu übertragen. Man möge dies Verhalten werten wie man wolle – er wirft uns auf die Ursprungsfrage zurück:
Was hat der Schwule am Nazi gefressen?
Im Dritten Reich haucht einen die Vermutung des Pin-Ups an. Fesche Typen in geilen Uniformen – immerhin entwarf BOSS die Sportklamotten der SS – Fackelmärsche, Pipapo. Ernst Röhm führte die größte schule Community der deutschen Geschichte, die SA, bis zu seiner von Hitler iniziierten Ermordung 1934, an.
Die Männertümelei der NS-Zeit trägt eine eindeutig homoerotische Handschrift, speziell in ihrer geradezu islamistisch anmutenden Auslassung des weiblichen Geschlechts. Speers entworfenes „Germania“ mutet an wie der Entwurf einer Kölner Schwulensauna. Jener übertriebene Ästhetizismus, diese ausschließliche Maskulinität mag die Faszination der Schwulen am Nationalsozialismus einigermaßen erahnen lassen – bis man ihnen den Rosa Winkel auf die Brust tackerte.
Aber im Nachkriegsdeutschland?
Da gibt es beispielsweise die schillernde Figur des Michael Kühnen. 1955 geboren, in Bonn aufgewachsen als Spross einer mittelständisch-wirtschaftswunderlichen Familie, dem Bund verpflichtet, aus selbigem wegen rechtsextremer Tendenzen hinausgeworfen, schließlich Führungsfigur des rechtsradikalen Lagers. Leitfigur der ANS (Aktionsfront Nationaler Sozialisten), schließlich 1991 an AIDS verstorben. Seine Homosexualität erklärte er mit interessanten Diskursen:
Seiner Ansicht nach hätten Männer kulturell lernen müssen, ihre „‚überschüssige Sexualität so zu gebrauchen, dass sie sich nicht zum Schaden, sondern nach Möglichkeit sogar zum Nutzen der kulturellen Gemeinschaften auswirkt“, denn es entspreche für den Mann ganz offensichtlich „nicht seiner biologischen Bestimmung, seine Sexualität ausschließlich zur Fortpflanzung zu benutzen“. Eine Möglichkeit der nutzbringenden Sexualität sah Kühnen in „Beziehungen zu anderen Männern oder geschlechtsreifen Knaben“.
Diese Zitate erscheinen als geradezu prophetisches Bindeglied für die Affinität des schwulen Mannes zum Nationalsozialismus zwischen dem Heute und Gestern. Denn Kühnen vertrat ja historisch das Dazwischen.
2013 trat der „seriöse Radikale“ Holger Apfel vom Vorsitz der NPD zurück, weil er sich „jungen Kameraden“ unsittlich genähert hatte.
Dass, trotz der verachteten Homosexualität aus der rechten Ecke heraus, selbige bis in die Führungsriegen ihre Metastasen frisst, legitimiert sich durch Hypermaskulinität. Die Kameradschaft wird zum Männlichkeitsideal erklärt, der homosexuelle Männerbund zur Keimzelle des nationalsozialistischen Staates.
Klaus Theleweit beschreibt dies in seinem Buch MÄNNERPHANTASIEN als „eine gewisse Attraktivität der Bereiche des ‚Homosexuellen‘ für den faschistischen Mann“.
Nun ist die AfD, derzeit stärkste antidemokratische Kraft in Deutschland, weit entfernt davon, einen anziehend-anzüglichen Tuntenpomp zu veranstalten wie seinerzeit die NSDAP oder die katholische Kirche bei der ordinären Papstwahl. Dennoch mutet es fraglich an, wer und warum sie wählt. Dass es in ihr Organisationen gibt wie „Juden in der AfD“, „Schwarze in der AfD“, „Homosexuelle in der AfD.“ Er erscheint fast masochistisch.
Wie auch, dass mit einem Mädchen wie Alice Weidel eine Lesbe die Co-Fraktions-Vorsitzende gibt. Verheiratet mit einer Dame, die aus Sri-Lanka stammt, Adoptivmutter zweier Söhne, Nutznießerin der freien Gesellschaft, die sie bekämpft. Verirrt, verwirrt, verloren.
Diese Verlorenheit und Einsamkeit kann der einzige Grund sein, warum sich schwule Menschen, wider besseres Wissen, in die Fangstricke der Rechten verirren. Verstoßen, verbannt, doch sich dann wieder in die autoritären Strukturen rettend, die sie ausgegrenzt haben, doch die sie nun vermeintlich, fast selbstverachtend, zu kontrollieren hoffen. Das wahre Problem ignorierend:
Autorität hilft nicht weiter. Verstand ist nützlich, Leiden tut weh, aber Denken hilft.